Hochsensibilität
Hochsensibilität ist ein Wesensmerkmal, dass ca. 15 bis 20 Prozent aller Menschen und sogar Tiere betrifft. Und die Verteilung ist in allen Kulturen und bei allen Geschlechtern gleich ausgeprägt.
Als Kind war ich häufig krank und weinte leicht, weil ich mir viele Dinge sehr zu Herzen nahm und konnte Streit nicht ertragen. Ich versuchte mich deshalb, so angepasst wie möglich zu verhalten und war sehr harmoniebedürftig. Deshalb zog ich mich gerne mit meinen Tieren und meinen Büchern zurück, mit denen ich mich sicher fühlte.
Meine Eltern, andere Erwachsenen und Kinder in meinem Umfeld reagierten auf mein Verhalten meistens mit Unverständnis. Mein Vater rechtfertigte und entschuldigte mich oft mit der Erklärung, ich wäre halt sehr überempfindlich und schüchtern, während meine Mutter es ignorierte.
Wenn ich andere Kinder und Jugendliche in meinem Alter betrachtete, die eine wirklich schlimme Kindheit erlebten, wurde ich oftmals neidisch auf ihre „Coolness“. Während bei mir schon einzelne Wörter der Unfreundlichkeit oder Streitereien in meinem Inneren tage- und nächtelang Spuren des Grübelns hinterließen, steckten andere scheinbar alles locker weg und dachten nicht viel darüber nach.
Auch als ich dann schon Erwachsen war, konnten Streit, Disharmonie und Kritik bei mir unzählige Gedanken und Gefühle des Ausgeliefertseins, der Machtlosigkeit, des „Nicht-gut-genug-Seins“ und tiefer Traurigkeit auslösen.
Den Großteil meines Lebens verbrachte ich damit, mit dieser Schwäche und dem geringen Selbstwertgefühl klarzukommen.
Besonders in meiner beruflichen Biografie gelang mir das nur schwer, da ich aus Angst vor dem Versagen und den damit einhergehenden Gefühlen viele Möglichkeiten gar nicht wahrnahm bzw. ich nicht daran glaubte, diese irgendwie bewältigen zu können.
Diese Gefühle führten mich auf eine Suche nach möglichen Erklärungen für diese Befindlichkeiten.
Als ich dann vor mehr als 10 Jahren begann, mich näher mit diesem Phänomen zu beschäftigten, wurde mir vieles klarer und endlich konnte ich mir viele Empfindungen erklären. ICH BIN HOCHSENSIBELl!!
„Du bist immer so empfindlich!“, „Übertreib doch nicht so!“, das sind Aussagen, die hochsensible Menschen oftmals von Kindheit an in ihrem Alltag zu hören bekommen.
Gerade in der heutigen Gesellschaft, in der Effizienz und Funktionalität Vorrang haben, wird Hochsensibilität als Schwäche betrachtet und seit einiger Zeit gilt sie gar als eine Art „Modediagnose“, was Betroffene nur noch mehr verwirrt und vielleicht sogar diskriminiert.
Diese Strategie führt zur Wahrnehmung von mehr Feinheiten als andere Individuen, aber kann auch sehr schnell zur Überreizung führen. Jedes Individuum wird im Alltag mit einer Vielzahl von Reizen konfrontiert. Die meisten Personen können diese aber so filtern, dass sie keine übermäßig große Belastung für sie darstellen. Für Hochsensible kann die Menge an Reizen im Alltag schnell zu einer Reizüberflutung führen, was Dauerstress und psychische und physische Beschwerden auslösen kann. Hochsensible sind normalerweise anfälliger für Stress als Normalsensible und leiden deshalb auch schneller unter schädlichem Dauerstress. Besonders wichtig für sie ist es deshalb, einen guten Ausgleich im überfordernden Alltag zu schaffen.
Als ich das alles erkannte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen und plötzlich hatte ich für soviele Dinge eine Erklärung.
Die Erkenntnis war aber nur der erste Schritt. In weiterer Folge und im Zuge meiner Ausbildungen habe ich gelernt, mit den Stärken und Schwächen aufgrund meiner Hochsensibilität umzugehen (und lerne noch immer ;) und sie für mich als großes Geschenk zu erkennen und zu leben.
Nur durch meine Hochsensibilität ist es mir möglich, die Menschen wirklich zu verstehen und auf ihrem Weg zu begleiten. Sie ermöglichte es mir, dass ich erst in der zweiten Lebenshälfte meine Berufung gefunden habe und sie heute auch leben darf.
Deshalb habe ich mir zur Aufgabe gemacht, auch anderen hochsensiblen Menschen zur Seite zu stehen. Ich möchte ihnen zeigen, dass die Hochsensibilität eine "Superkraft" sein kann, wenn man lernt, sie in das eigene Leben zu integrieren.
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass viele berühmte Künstler, Musiker und Politiker hochsensibel waren und sind und nur deshalb konnten sie Dinge vollbringen, die sie berühmt und einzigartig machten.
Es geht nicht darum, dass die Hochsensibilität als Ausrede verwendet wird, sondern dass die Betroffenen lernen, mit ihr zu wachsen und selbstbestimmt, glücklich und erfolgreich zu leben.
Denn es ist nicht wichtig, so zu sein wie die anderen, denn andere gibt es schon genug!
Eckart von Hirschhausen
Quellen: E. A. Aron, T. Schröder, Pixabay